Emotionen in der Führung? Eine wichtige Datenquelle voller Missverständnisse
Die gefühlsmäßige Revolution
In Boardrooms habe ich im Laufe der Jahre unzählige Entscheidungsprozesse miterlebt – manche durchdacht, viele improvisiert, einige überraschend intuitiv. Viele Entscheidungen wurden auch am Ende eines langen Tages getroffen – unter kognitiver Erschöpfung, nach ermüdenden, oft unstrukturierten Diskussionen.
Was mich immer wieder erstaunt hat: Wie selten diese Prozesse zugleich strukturiert, kognitiv fundiert und emotional bewusst gestaltet sind. Dabei geht es nicht um Perfektion, sondern um Klarheit: Wer entscheidet? Wie? Womit? Und – vielleicht am wichtigsten – in welchem emotionalen Zustand?
Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat es treffend formuliert:
„Ob eine Entscheidung gut oder schlecht war, wissen wir oft erst im Nachhinein – entscheidend ist aber die Qualität des Entscheidungsprozesses.“
Und genau hier wird es spannend: Welche Rolle spielen Emotionen in diesem Prozess? Nicht als Störfaktor. Sondern als Ressource, als Signal, als Datenquelle.
Die Organisationspsychologin Sigal Barsade hat diesen Blickwinkel mit einer einfachen, aber grundlegenden Einsicht geschärft:
“Emotions are not noise — they are data.”
Emotionen sagen uns, wie sich Menschen mit einer Entscheidung fühlen – aber auch, wie sehr sie bereit sind, sie mitzutragen. Sie zeigen, was in der Luft liegt – noch bevor es ausgesprochen wird. Und sie beeinflussen, wie mutig, klar oder blockiert ein Team überhaupt entscheiden kann.
Was wäre, wenn wir in Entscheidungsprozessen nicht nur die Fakten, sondern auch das emotionale Feld ernst nehmen würden? Was wäre, wenn wir gelernt hätten, mit Scham, Unsicherheit, Ambivalenz oder gesunder Begeisterung reflektiert umzugehen, statt sie zu übergehen?
Vielleicht beginnt kluge Führung genau dort: Wo wir nicht nur die Inhalte steuern – sondern auch die emotionale Architektur unserer Entscheidungen gestalten.
Emotionen sind Daten, keine Nebengeräusche
Die Organisationspsychologin Sigal Barsade verstarb viel zu früh im Alter von 56 Jahren. Ihr wissenschaftliches Erbe aber wirkt – weit über Universitäten hinaus, tief hinein in die Praxis. Unternehmen wie Coca-Cola, Cisco oder die NFL zählten zu ihren Beratungskunden. Ihr zentrales Vermächtnis:
“Emotions are not noise — rather, they are data. They reveal not just how people feel, but also what they think and how they will behave.”
Diese Perspektive hat das Führungsverständnis in vielen Organisationen nachhaltig verschoben. Emotionen sind kein Beiwerk – sie sind strategisch relevante Signale. Sie geben Hinweise auf Motivation, psychologische Sicherheit, Bindung und Handlungsbereitschaft.
Und: Sie beeinflussen harte Kennzahlen – von Produktivität und Fehlzeiten über Innovationskraft bis hin zu Gesundheit und Fluktuation. Führung, die das ignoriert, verzichtet auf eine ihrer zentralen Informationsquellen.
Gerade in Zeiten von generativer KI (GenAI) ist dies umso wichtiger zu verstehen: Je stärker Routineentscheidungen automatisiert und datenbasiert getroffen werden, desto bedeutsamer wird das, was nicht von Algorithmen erfasst werden kann – nämlich das emotionale Klima, das Vertrauen, die Resonanz, das implizite Wissen über das, was zwischen Menschen geschieht.
Dort, wo Technologie rationalisiert, braucht es umso mehr Führung, die emotional differenziert und menschlich präsent ist. Denn: KI kann Entscheidungen simulieren – aber keine Verantwortung übernehmen.
Emotionale Kompetenz wird so zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal menschlicher Führung – nicht als Gegenmodell zur Technologie, sondern als komplementäre Stärke.
Auch Daniel Goleman, Mitbegründer des Konzepts der emotionalen Intelligenz, weist seit Jahren darauf hin:
“In a very real sense we have two minds, one that thinks and one that feels. And the rational mind is at the mercy of the emotional if we do not learn to work with it.”
Exzellente Führung basiert nicht nur auf Expertise – sondern fast immer auf hoher emotionaler Kompetenz.
Selbstwahrnehmung, Empathie und Beziehungsfähigkeit sind keine „Soft Skills“ – sondern Hard Skills. Sie sind Grundbedingungen für Vertrauen, Orientierung und Wirksamkeit – gerade in unsicheren, komplexen Zeiten.
Ein praktisches Beispiel zeigt, wie diese Einsicht in konkrete Führungsentwicklung übersetzt werden kann: Google hatte über Jahre hinweg Zugang zu den besten Wissenschaftler:innen, Ingenieur:innen und Entwickler:innen – Menschen mit hohem IQ, aber im emotionalen Kompetenzspektrum (EQ) mit sehr unterschiedlicher Ausprägung. Die Folge: herausragende fachliche Leistung auf der Sachebene, aber hohe Spannungen, Überforderung und Dysbalancen auf der Team- und Beziehungsebene, was zu einer schlechten Kultur und zu wenig psychologischer Sicherheit führte. Letztere ist jedoch Grundbedingung für Innovation – der Treibstoff von Google.
Als Antwort darauf entwickelte Google das Programm „Search Inside Yourself“ (SIY) – ein achtsamkeitsbasiertes Trainingsformat zur Entwicklung von emotionaler Intelligenz, Präsenz und Selbstführung. Ich begleite dieses Programm seit vielen Jahren international als zertifizierter Ausbilder und Facilitator. Das Programm wurde inzwischen in ein unabhängiges Institut überführt – und ist heute das erfolgreichste Mitarbeiter- und Führungsentwicklungsprogramm bei Unternehmen wie SAP, LinkedIn oder Salesforce.
Was mich an diesem Programm besonders überzeugt, ist die Verbindung von neurowissenschaftlich fundierten Erkenntnissen mit einem klar strukturierten Kompetenzmodell emotionaler Intelligenz. Wer an der eigenen emotionalen Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Empathiefähigkeit und Beziehungsfähigkeit arbeitet, wird nicht nur menschlich reifer – sondern auch klarer, belastbarer und wirksamer in komplexen Führungskontexten.
Emotionale Ansteckung: Wie Stimmung wirkt
Barsade hat eindrücklich gezeigt, wie sich Emotionen in Gruppen ausbreiten – unbewusst, aber wirksam. In einem ihrer bekanntesten Experimente wurde einer Person in einer Arbeitsgruppe ein bestimmter emotionaler Ausdruck zugewiesen – freundlich oder mürrisch. Das Ergebnis: Gruppen mit der lächelnden Person kamen schneller zu Konsens, waren kooperativer und produktiver. Gruppen mit dem „Scowler“ gerieten in Konflikte und blieben weniger lösungsorientiert.
Emotionen in Teams sind also nicht individuell isoliert, sondern sozial ansteckend. Die Stimmung einzelner – bewusst oder nicht – färbt auf andere ab. In der Organisationspsychologie nennt man das „affective contagion“ – emotionale Ansteckung.
Wer im Team besonders präsent ist, beeinflusst die Stimmung maßgeblich. Das können Führungskräfte sein, aber auch informelle Persönlichkeiten, die durch ihre emotionale Ausdruckskraft wirken. Solche Stimmungsträger:innen spielen eine entscheidende Rolle für das emotionale Klima – und damit auch für Leistung, Motivation und Engagement.
Companionate Love: Wärme im Arbeitskontext
Barsade prägte auch den Begriff der companionate love – ein Klima von Mitgefühl, Fürsorge und menschlicher Verbundenheit im Arbeitskontext. Sie zeigte: In Teams, in denen Kolleg:innen einander mit Freundlichkeit, Anteilnahme und Respekt begegnen, sind Engagement, Zufriedenheit und Produktivität signifikant höher.
Dabei ging es ihr nicht um sentimentale Wohlfühlkultur. Vielmehr verstand sie Mitgefühl als professionelle Ressource. Gerade in anspruchsvollen Umfeldern – von Kliniken bis hin zu Atom-U-Booten – führt ein emotional unterstützendes Klima zu besseren Ergebnissen.
In einer Längsschnittstudie an einer Pflegeeinrichtung untersuchten Barsade & O’Neill die Auswirkungen einer Kultur von companionate love – also gelebter Fürsorge, Wärme und Mitgefühl – auf Mitarbeiter:innen, Patient:innen und Angehörige. Das Ergebnis:
Mitarbeitende in dieser Kultur waren zufriedener, arbeiteten besser im Team, hatten geringere Fehlzeiten und stärkere Bindung zum Unternehmen. Gleichzeitig verbesserte sich das emotionale Befinden der Patient:innen, ihre Lebensqualität – und sogar die Zahl ungeplanter Notaufnahmen ging zurück.
Besonders bemerkenswert: Diese Effekte ließen sich nicht nur im Care-Bereich nachweisen. In einer Folgestudie mit über 3.200 Mitarbeitenden aus sieben Branchen – von Finanzdienstleistern über Immobilien bis zum produzierenden Gewerbe – zeigte sich dasselbe Muster:
Wo Fürsorge, Zuwendung und Mitgefühl unter Kolleg:innen gelebt werden durften, waren die Menschen zufriedener, engagierter und verantwortungsbewusster. Emotional unterstützende Kulturen fördern also nicht nur Wohlbefinden, sondern auch Leistung – quer durch alle Sektoren.
Auch Barbara Fredricksons Broaden-and-Build-Theorie erklärt diese Wirkung: Positive Emotionen erweitern den Denkraum und helfen, langfristig stabile Ressourcen aufzubauen – Vertrauen, Resilienz, Offenheit, Verbundenheit. Sie machen Teams anpassungsfähiger, kreativer und weniger fehleranfällig. Und sie wirken wie ein psychologischer Puffer in stressreichen Phasen.
Emotionen in der Führung: Haltung, nicht Technik
Was folgt daraus für Führung?
Zunächst: Führung ist emotionale Arbeit. Wer ein Team führt, beeinflusst automatisch dessen emotionales Klima – durch Ton, Haltung, Auftreten und Kommunikationsstil. Diese Wirkung lässt sich nicht verhindern – aber gestalten.
Eine gute Führungskraft ist emotional präsent: Sie nimmt Stimmungen wahr, benennt sie, geht darauf ein. Sie bringt ihre eigene emotionale Lage bewusst und dosiert ein – ohne Überidentifikation, aber auch nicht distanziert oder mechanisch. Sie zeigt Haltung.
Zugleich braucht es Selbstregulation. Wer selbst in Frustration, Angst oder Überforderung versinkt, gibt diese Emotionen ungefiltert ans Team weiter. Wer hingegen seine Gefühle reflektiert – Was ist da gerade? Was braucht es jetzt? – kann gezielter agieren. Diese innere Klarheit ist oft entscheidend für den äußeren Zusammenhalt.
Emotionale Präsenz bedeutet auch, negative Emotionen nicht zu verdrängen. Ärger, Unsicherheit oder Enttäuschung dürfen Raum bekommen – sie weisen oft auf reale Spannungen hin. Doch sie sollten benannt, gehalten und gemeinsam bearbeitet werden. Das ist ein reifer Umgang mit Emotion.
Emotionale Kultur gestalten – nicht nur beobachten
Teams haben immer eine emotionale Kultur – die Frage ist nur, ob sie zufällig entsteht oder bewusst gestaltet wird. Führung kann hier steuern. Das beginnt mit Wahrnehmung: Welche emotionalen Codes gelten in meinem Team? Was darf gezeigt werden – und was nicht? Wo ist die Stimmung konstruktiv, wo blockierend?
Barsade betont: Nicht jede Kultur passt zu jeder Person – und nicht jede Emotion passt zu jeder Organisation. Doch jede Organisation braucht Klarheit darüber, welche emotionale Kultur sie fördert. Ist Hilfsbereitschaft erwünscht? Wertschätzung? Humor? Ruhe? Was wird belohnt, was wird still geduldet?
Barsade & O’Neill empfehlen drei pragmatische Schritte für Führungskräfte, um eine emotionale Kultur der Fürsorge aufzubauen:
Den Kulturbegriff erweitern: Nicht nur über Werte wie Innovation oder Ergebnisorientierung sprechen, sondern auch über Gefühle wie Zuwendung, Freude oder Mitgefühl. Genauso wichtig halte ich es, über die versteckten Emotionen zu sprechen, die ein Team daran hindern können, wirksam zu werden: Scham, Neid und die Aspekte der dunklen Triade.
Emotionale Selbstwahrnehmung entwickeln: Die eigene Stimmung prägt das Teamklima – bewusst oder nicht. Führungskräfte sollten regelmäßig reflektieren, welche Emotionen sie ausstrahlen.
Policies emotional gestalten: Schaffen Sie Raum für menschliche Nähe – etwa durch kollegiale Unterstützungsfonds, Trauerregelungen oder Rituale des Miteinanders. Oft sind es kleine Gesten, die die größte Wirkung haben: Ein warmes Lächeln, ein offenes Ohr, eine mitfühlende Geste.
Doch es fehlt häufig ein vierter Schritt – der unbequemer ist:
Über verdeckte Emotionen sprechen, die Teams blockieren
Es reicht nicht, nur positive Emotionen zu fördern.
Genauso wichtig ist es, jene verdeckten oder tabuisierten Emotionen anzusprechen, die in Teams wirksam sind – aber selten thematisiert werden:Scham – oft unsichtbar, aber handlungsvermeidend. Sie wirkt wie ein innerer Rückzug, eine leise Selbstabwertung, ein Gefühl von „nicht genügen“.
Neid – besonders dort, wo Vergleich, Status oder Wettbewerb unterschwellig mitlaufen. Er erzeugt Distanz, Rückzug oder destruktive Dynamiken, wenn er nicht benannt werden darf.
Elemente der „dunklen Triade“ – wie instrumenteller Machiavellismus, narzisstische Kränkungsdynamiken oder emotional abgestumpfte Führungsstile. Auch sie prägen Kultur – meist negativ und tiefgreifend.
Diese Dynamiken offen anzusprechen verlangt Mut – und psychologische Sicherheit.
Aber genau hier beginnt reife Führungskultur: Dort, wo nicht nur Leuchtturm-Emotionen erwünscht sind, sondern auch Schattenanteile wahrgenommen, reflektiert und integriert werden können.
Emotionale Reife zeigt sich nicht im Ausstrahlen von Positivität –
sondern im Umgang mit Ambivalenz.
Eine Kultur der emotionalen Fürsorge bedeutet deshalb auch:
Räume schaffen für das Unausgesprochene – und Sprache finden für das Schwierige.
Erst dann wird emotionale Kultur tragfähig.
Die Checkliste: Emotionale Kultur im Team stärken
Vorbild sein
Ihre eigene emotionale Präsenz wirkt stärker als jede Policy.
Wie Sie mit Unsicherheit, Kritik oder Begeisterung umgehen, prägt das Klima unmittelbar.Selbstregulation kultivieren
Lernen Sie, Emotionen bei sich frühzeitig zu erkennen, zu benennen und bewusst zu steuern – nicht zu unterdrücken. Das schafft Orientierung und wirkt deeskalierend.Emotionale Signale erlernen wahrnehmen
Wichtig ist eine emotionale Edukation: Was bedeuten Emotionen und wofür stehen sie? Je feingranularer sie diese benennen können, umso tiefer wird ihre Kultur sich entwickeln (“die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt”). Wofür steht Wut, Verärgerung, Trauer, überraschende Freude,... ? Und achten Sie auf Zwischentöne: Tonlage, Tempo, Körpersprache, Blickkontakt.Stimmungsträger:innen erkennen und einbeziehen
Wer beeinflusst das Teamklima – auch informell? Holen Sie diese Personen bewusst ins Boot, um Kultur zu gestalten, nicht nur zu beobachten.Emotionale Zielkultur klären
Welche Gefühle sollen Teil des Miteinanders sein? Sprechen Sie im Team über gewünschte Qualitäten wie Offenheit, Vertrauen, Zuversicht – und auch über das, was fehlt.Psychologische Sicherheit fördern
Sorgen Sie für ein Umfeld, in dem Emotionen nicht bewertet, sondern gehört werden.
Dazu helfen geziele Zuhörtechniken (aktives, achtsames oder empathisches Zuhören)Feedback auf emotionale Wirkung geben
Geben Sie Rückmeldungen nicht nur zur Leistung, sondern auch zur kulturellen und emotionalen Wirkung: „Deine Klarheit hat uns geholfen, durch die Spannung zu gehen.“Rituale des Ausdrucks etablieren
Integrieren Sie kurze Formate für emotionalen Austausch – z. B. Check-ins, Dankrunden, stille Reflexionen nach Konflikten. So wird emotionales Miteinander normiert und normalisiert statt marginalisiert.
Emotionale Führung gestalten
1. Emotionales Zielbild entwickeln
Bevor etwas verändert werden kann, braucht es ein Bild davon, wohin es gehen soll. Welche Emotionen sollen das Miteinander im Team prägen?
Geht es um mehr Ruhe in angespannten Zeiten? Mehr Vertrauen, wo Unsicherheit herrscht? Oder mehr Freude und Neugier, wo kreative Lösungen gefragt sind?
Führung bedeutet hier, einen gemeinsamen Reflexionsprozess anzustoßen. In Workshops oder Dialogformaten können zentrale Fragen gestellt werden:
Wie möchten wir miteinander umgehen – auch unter Druck?
Welche emotionale Atmosphäre brauchen wir, um unser Bestes geben zu können?
Welche Gefühle sollen bei uns Raum haben – und welche nicht?
Das Ziel ist kein einheitliches Ideal, sondern eine kontextgerechte, gemeinsam getragene emotionale Vision. Dieses Zielbild bildet die emotionale Ausrichtung für alle weiteren Kulturimpulse.
2. Emotionale Ist-Analyse
Wer emotional führen will, muss zuerst genau hinsehen. Wie fühlt sich das Team im Moment wirklich? Welche Stimmungen dominieren den Alltag – implizit oder explizit?
Eine ehrliche Bestandsaufnahme kann auf verschiedenen Wegen erfolgen:
Offene Gesprächsrunden mit der Frage: Was spürt ihr im täglichen Miteinander?
Anonyme Stimmungsumfragen (z. B. mit Skalen oder Emotionskarten)
Beobachtungen durch Führung: Was zeigt sich in Meetings, im Pausenraum, in Mails?
Wichtig ist: Emotionen benennen, ohne sie zu bewerten. Denn auch Frustration, Rückzug oder Müdigkeit enthalten wertvolle Hinweise. Sie zeigen, wo es dysfunktionale Muster gibt – und wo Veränderung ansetzen sollte.
3. Regeln und Rituale vereinbaren
Emotionale Kultur wird im Alltag sichtbar – in Routinen, Gewohnheiten, Reaktionen. Deshalb braucht es bewusst gestaltete Räume, in denen emotionale Verbindung gepflegt wird.
Konkrete Praxisbeispiele:
Check-ins zu Beginn von Meetings („Wie kommst du heute hier an?“)
Anerkennungsrunden, in denen Erfolge und Beiträge wertschätzend benannt werden
Rituale bei Belastung, z. B. eine „Atempause“ nach harten Debatten
Feedback-Leitlinien, die respektvollen Umgang auch in Konflikten sichern
Gemeinsam formulierte Teamvereinbarungen können hier helfen – etwa:
„Wir gehen achtsam miteinander um – besonders, wenn es stressig wird.“
„Emotionen dürfen Raum haben – aber nicht unreflektiert eskalieren.“
Regeln und Rituale bieten Struktur für emotionales Verhalten – ohne Kontrolle, aber mit Orientierung.
4. Informelle Multiplikator:innen einbinden
In jedem Team gibt es Menschen, die emotional Einfluss nehmen, auch ohne offizielle Führungsrolle. Sie gestalten die Atmosphäre mit – durch ihre Haltung, ihre Sprache, ihr Verhalten.
Diese informellen Akteur:innen lassen sich gezielt einbinden:
Wer bringt Energie in den Raum?
Wer ist für andere eine Vertrauensperson?
Wer prägt mit seinem Verhalten den Umgangston?
Sprechen Sie diese Menschen an. Würdigen Sie ihren Beitrag. Und gewinnen Sie sie als Mitgestalter:innen einer positiven Kultur. Manchmal reicht ein Satz wie:
„Deine ruhige Art wirkt total stabilisierend. Das brauchen wir gerade.“
So entsteht emotionale Führungsarbeit im Netzwerk – getragen von mehreren Schultern.
5. Vorleben und Verstärken
Emotionale Kultur zeigt sich nicht in Absichtserklärungen – sondern in den kleinen Situationen des Alltags.
Führungskräfte gestalten Kultur vor allem dadurch, wie sie auf Emotionen reagieren:
Wird eine Sorge ernst genommen oder abgetan?
Wird Dankbarkeit ausgedrückt – oder als Schwäche gelesen?
Wird ein Konflikt mit Präsenz begleitet – oder vermieden?
Wer emotional führt, spiegelt, benennt und verstärkt gewünschte Haltungen:
„Ich habe gemerkt, wie gut ihr euch gegenseitig unterstützt habt – das hat viel bewegt.“
„Danke, dass du deine Unsicherheit offen ausgesprochen hast. Das macht anderen Mut.“
Solche Momente prägen langfristig mehr als jede Strategiefolie.
6. Rückschläge reflektieren
Kein Kulturprozess verläuft linear. Es wird Phasen geben, in denen alte Muster zurückkehren – sei es durch Stress, Wechsel oder externe Krisen. Entscheidend ist: Rückschläge nicht moralisieren – sondern zum Lernmoment machen.
Statt zu fragen: „Was läuft hier falsch?“, lieber fragen:
„Was ist uns gerade verloren gegangen – und warum?“
„Was brauchen wir, um wieder in Verbindung zu kommen?“
Emotionale Kultur ist kein Zustand, sondern ein Prozess.
Und jede Irritation kann – wenn bewusst bearbeitet – ein Korrektiv und Entwicklungsschritt sein.
Emotionen sind kein Widerspruch zur Professionalität. Sie sind ihre Voraussetzung. Sie zeigen, was wirklich los ist – im Team, im Einzelnen, im Unternehmen.
Sigal Barsade hat dies mit Klarheit, Wärme und wissenschaftlicher Präzision erforscht. Und gezeigt: Wer Führung ernst nimmt, nimmt Gefühle ernst. Nicht sentimental, sondern klug. Nicht beliebig, sondern konsequent.
In diesem Sinne ist emotionale Führung kein Trend. Sie ist ein stiller, aber wirksamer Hebel für Klarheit, Verbundenheit und Zusammenarbeit.
Denn Führung ohne emotionale Intelligenz bleibt blind für das, was Menschen bewegt. Und damit blind für das, was Organisationen wirklich weiterbringt.
Literaturempfehlungen
1. Sigal Barsade & Olivia A. O’Neill – “Manage Your Emotional Culture”
Ein kurzer und gleichzeitig tiefgehender Artikel, der den Unterschied zwischen kognitiver und emotionaler Unternehmenskultur erläutert – mit konkreten Fallbeispielen und Praxisimpulsen. Barsade & O’Neill zeigen, wie sich emotionale Kultur messen, gestalten und in den Alltag integrieren lässt.
2. Sigal Barsade & Olivia O’Neill – “Employees Who Feel Love Perform Better”
3. Daniel Goleman – „Emotionale Intelligenz“
Originaltitel: Emotional Intelligence, 1995
Ein Klassiker, der die Grundlagen der emotionalen Intelligenz legt – und erklärt, warum sie für Führungserfolg oft wichtiger ist als IQ oder Fachkompetenz. Besonders lesenswert: die Kapitel zu Selbstregulation, Empathie und „resonanter Führung“.
4. Barbara L. Fredrickson – “Positivity”
Warum positive Emotionen unser Leben dauerhaft verändern können
Fredricksons Broaden-and-Build-Theorie zählt zu den zentralen Ansätzen der positiven Psychologie. Dieses Buch zeigt, wie positive Emotionen Denkraum und Beziehungsqualität erweitern – auch im Businesskontext.
5. Amy C. Edmondson – “The Fearless Organization”
Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth
Edmondson beschreibt, wie psychologische Sicherheit als emotionale Grundlage für gesunde Hochleistungskulturen funktioniert – mit zahlreichen Praxisbeispielen aus Unternehmen, Kliniken und Start-ups.
6. Adam Grant – “Think Again”
The Power of Knowing What You Don’t Know
Grant verbindet Erkenntnisse aus Organisationspsychologie und Verhaltensforschung mit konkreten Führungsfragen. Besonders relevant ist sein Plädoyer für emotionale Offenheit, Zweifel als Ressource – und die Bereitschaft, eingefahrene Denkweisen zu hinterfragen.
7. Brené Brown – “Dare to Lead”
Mut zur Verletzlichkeit als Führungskraft
Ein praxisnahes, kraftvolles Buch über die emotionale Seite von Leadership. Brown schreibt über Verletzlichkeit, Vertrauen, Empathie und mutige Gespräche – und wie Führungskräfte dadurch authentischer und wirksamer handeln können.